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Dieser Beitrag wurde in den folgenden Foren veröffentlicht:

  Musiker-Board 18.06.2010
  Forum des Musikinstrumentenmuseums Markneukirchen 20.06.2010
  Guitarworld.de 20.06.2010
  GitarreBassBau.de 21.06.2010
  Musikertalk.com 21.06.2010

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Der "Trickschalter" in den Gitarren von "Musima" und "Migma"

Einleitung

Neben der Auswahl der Hölzer und der mechanischen Konstruktion einer Elektrogitarre stellt ihre Elektronik eine wesentliche Einflußgröße für den entstehenden Klangeindruck dar. Dabei reicht die Spanne von einer puristischen Lösung mit nur einem Tonabnehmer ohne weitere Bedienelemente bis hin zu vier Tonabnehmern mit mehreren Potentiometern. Entsprechend gibt es Instrumente die mit bis zu einem halben Dutzend Schaltern und (manchmal) aktiver Elektronik auftrumpfen, welche die Aufgabe von Verstärker und Effektgeräten teilweise in das Instrument verlagern. Über Sinn oder Unsinn läßt sich gepflegt streiten ohne wirklich zu einer Lösung zu gelangen, denn letztendlich ist erlaubt, was gefällt!

Abseits der bekannten Standardschaltungen, gibt es einige Hersteller, die mit ihren Gitarren sehr interessante Konzepte verfolgen. Viele dieser Instrumente kommen jedoch nicht aus dem Geburtsland der Elektrogitarre. Haben die japanischen Hersteller sich in den 70er und 80er Jahren darauf beschränkt, die bekannten Schaltungen ein wenig zu verbessern, indem zum Beispiel ein Split eines Humbuckers oder eine Umschaltung von seriellem auf parallelen Betrieb der beiden Spulen realisiert wurde, gingen einige europäische Hersteller schon wesentlich früher deutlich weiter.

Neben einem allgemeinen Interesse, gibt es auch einen weiteren Grund sich mit solchen Schaltungen zu beschäftigen, denn manchmal leiden alte Instrumente auch unter den Jugendsünden ihrer (damals) unwissenden Besitzer. Löcher für zusätzliche Schalter mit teilweise übergroßen Formfaktoren oder mit dem Faustkeil erstellte Öffnungen für weitere Tonabnehmer sind da nur zwei von vielen Möglichkeiten. Selbst wenn sich noch alle Bauteile im Originalzustand befinden, wurde häufig die Schaltung verändert. Dann stellt sich die Frage, wie die Elektronik wohl ursprünglich verdrahtet war?

In diesem Artikel geht es hauptsächlich um ein Schaltungskonzept, welches in alten Instrumenten von "Musima" und "Migma" zu finden ist. Ja lieber Leser, sie haben richtig vermutet. Beide Hersteller kommen aus der ehemaligen DDR! Als Einleitung und Appetizer mag der Artikel "Die Ost-Gitarre am Beispiel von Musima und Migma" dienen. Wir wagen jetzt also wirklich in mehrfacher Hinsicht einen Blick über den berühmten Tellerrand!


1. Gitarrenelektronik "Hüben" und "Drüben"

Im Westen wenig Neues!

Bei den meisten Elektrogitarren findet man heute immer noch die gleiche Schaltung, wie sie auch schon in den 40er oder 50er Jahren verwendet wurde. Es gab einen Schalter, der die Auswahl eines Tonabnehmer ermöglichte, sowie mindestens eine sogenannte Tonblende und einen Lautstärkeeinsteller. Das folgende Bild zeigt einen entsprechenden Verdrahtungsplan:

Bild 1: Optimierte Verdrahtung für eine typische Elektrogitarre mit HH-Konfiguration

Die hauptsächlichen Unterschiede ergaben sich aus der Anzahl der Potentiometer. Bei "Gibson" wurde für jeden der beiden Tonabnehmer eine eigene Klang- und Lautstärkeeinstellung vorgesehen. "Fender" beschränkte sich häufig auf eine Einstelleinheit für alle Tonabnehmer, was dann zur Einsparung von zwei Potentiometern führte. Es gab nur sehr wenige Instrumente, die von diesem Konzept abwichen. Lediglich die "Jazzmaster" und die "Jaguar" von "Fender" oder die "L-6" und die "Les Paul-Recording" von "Gibson" stellen bekannte Ausnahmen dar, deren kommerzieller Erfolg jedoch vergleichsweise gering war. Für die meisten Hersteller schien daher zu gelten: "Never change a running system!"

Innovation aus der "freien alten" Welt

Amerika hat der Welt zwar die Elektrogitarre geschenkt, bezüglich der elektrischen Schaltung schienen jedoch die Entwickler der europäischen Hersteller die Nase vorn zu haben. Viele Instrumente unterschieden sich im Schaltungskonzept deutlich von den amerikanischen Standards und boten dem Musiker mehr Klangfarben zur Auswahl. Besonders bemerkenswert sind hier einige Modelle des italienischen Herstellers "Eko". Hier kam es schon einmal vor, daß der erstaunte Musiker mit einem halben Dutzend Drucktaster konfrontiert wurde.

Bild 2: Eine italienische Eko 700 V4 mit vier Humbuckern aus dem Jahre 1960

Um diesen schaltungstechnischen "Irrsinn" zu verstehen, muß man wissen, daß die damaligen Verstärker vergleichsweise einfache Geräte waren. Mehrkanalige Lösungen, die per Fußschalter fernbedienbar sind, waren damals allein aus Sicht der Kosten undenkbar. Also versuchte man, die gewünschte klangliche Flexibilität dem Musiker "näher" zu bringen, indem alle notwendigen Bedienelemente in die Gitarre integriert wurden. Daß das Instrument dabei immer mehr an den Befehlsstand des Raumschiffes Orion erinnerte, nahm man dabei billigend in Kauf.

"Der Osten schlägt zurück"

Natürlich waren die Arbeiter- und Bauernstaaten in der Lage, diesen imperialistischen Größenwahn zu überbieten, um den Klassenfeind so in seine Schranken zu verweisen. Diese leicht ironische Aussage scheint zumindest für die Größe der verwendeten Druckschalter zu gelten, wie das nächste Bild beweist:

Bild 3: Jolana Tornado aus der CSSR (1963)

Wenn man sich diese Bilder ansieht, könnte man fast auf die Idee kommen, daß die verwendeten Druckschalter eigentlich in ein Radio oder ein Fernsehgerät gehören. Mit dieser Vermutung wird man wohl nicht so falsch liegen und für das nächste Instrument mußte wohl eine Heimorgel die eine oder andere Taste opfern:

Bild 4: Jolana Alfa (1965)

Und was hat es gebracht?

Man sieht, hüben wie drüben scheinen die Entwickler in den 60er Jahren ein gewisses Faible für "schräge" - heute heißt es bizarre - Schaltungen und Bedienkonzepte gehabt zu haben. Am gesellschaftlichen oder gar ideologischen Ansatz hat es also definitiv nicht gelegen!

So vielversprechend und innovativ diese europäischen Instrumente auch aussehen, sind die klanglichen Ergebnisse jedoch häufig ernüchternd. Falsch dimensionierte Bauteile und Schaltungen, die einfach aus der Rundfunktechnik übernommen wurden, verschluckten die Höhen, dämpften die Resonanz der Tonabnehmer (so denn überhaupt eine vorhanden ist) und verhindern die Übertragung von Bässen.

Aber auch bei den Tonabnehmern selber konnte man einiges verkehrt machen, denn der unbesehene Einsatz von keramischen Magneten führte schnell zu übergroßen Güten, welche den Klang dann unter Umständen "spitz" und "schneidend" machten. Natürlich hätte man das mit der Schaltung leicht... hat man in der Regel dann aber meist doch nicht!

Versierte Elektrotechniker finden hier also ein weites Feld an möglichen Verbesserungen, die, einmal ausgeführt, natürlich zu Lasten der Orginalität gehen.


2. Der Trick mit dem Schalter

Kommen wir jetzt zu dem eigentlichen Anliegen dieses Artikels, welches wir einleiten, indem wir zunächst zwei Instrumente betrachten, deren Verwandschaft unverkennbar ist: Die "Elgita" und die "Eterna" von "Musima" aus dem Jahre 1973:

Bild 5: "Elgita" und "Eterna" aus dem Hause "Musima"

Neben der offensichtlich identischen Korpusform haben beide Instrumente eine große Gemeinsamkeit: Sie verfügen über einen Drehschalter mit vier Positionen und zwei Potentiometer. Auf den ersten Blick würde man auf einen Tonabnehmerwahlschalter, eine Tonblende (Tone) und einen Lautstärkeeinsteller (Volume) tippen. Ein Blick auf den Katalog aus dem Jahre 1973 belehrt einen jedoch eines Besseren. Dort kann man über das sogenannte "Mischpult" der "Elgita" folgendes lesen:

Mischpult:
...Trickschalter für Rhythmus-, Solo-, Banjo- und Shearing-Effekt. Volumenregler für Rhythmus, Volumenregler für alle Effekte...

Die "Eterna" verfügt noch über einen weiteren Schalter. Über Ihr "Mischpult" sagt der Katalog:

Mischpult:
...Trickschalter mit Einblendemöglichkeiten des mittleren Tonabnehmers in Banjo- und Solo-Effekt...

Sieht man sich einmal die verschiedenen Instrumente von "Musima" und "Migma" an, so findet man diesen "Trickschalter" nachweislich auf folgenden Modellen:

  1. Musima Elgita,
     
  2. Musima Record,
     
  3. Musima 1655,
     
  4. Musima 1657,
     
  5. Musima Deluxe 25,
     
  6. Musima Deluxe 25K,
     
  7. Musima Eterna und
     
  8. Migma Elektra Deluxe.

Ganz offensichtlich handelt es sich also um eine Art Standardschaltung die mit großer Wahrscheinlichkeit auch in weiteren Instrumenten verwendet wurde.

Der Begriff "Trickschalter" weckt natürlich schon einmal gewisse Erwartungen! Sowas findet man in den Westgitarren schließlich nicht, oder? Was sich dahinter tatsächlich verbirgt, werden wir uns im weiteren Verlauf genauer ansehen.

Im Zuge einer Anfrage zur Schaltung der "Record" erhielt ich von Heiko Berbalk ein paar Bilder von den Resten der Elektronik, von denen ich hier einige mit seiner freundlichen Genehmigung zeigen kann.

Bild 6: Die Bedienelemente einer Musima Record

Man erkennt auf der rechten Seite einen vierstufigen Drehschalter mit zwei Kontaktebenen. Daneben befinden sich zwei Potentiometer mit einem Kennwiderstand von 1MOhm, wie dem Aufdruck zu entnehmen ist. Über die Charakteristik kann man in gewisser Weise spekulieren. Da es Potis mit einem Kennwiderstand von 1,1MOhm jedoch nicht gibt, liegt die Vermutung nahe, daß die "1" nach dem "M" ein Hinweis auf die Potentiometercharakteristik erlaubt. Bei vielen Herstellern steht diese "1" für ein lineares Potentiometer. Tatsächlich handelt es sich hier um lineare Potentiometer, wie mir von capricky aus dem Forum GitarreBassBau.de bestätigt wurde. Ihm zufolge steht die 2 dann für ein Potentiometer mit logarithmischer Charakteristik.

Im Vergleich zu anderen Elektrogitarren ist ein Widerstand von 1MOhm schon ein recht großer Wert für ein Potentiometer. Normalerweise findet man hier Werte von 250kOhm oder 500kOhm. Ob diese Wahl begründet ist, wird sich später zeigen.


3. Die Anwendung des "Trickschalter" am Beispiel der "Elgita"

Den "Trickschalter" findet man auf verschiedenen Instrumenten von "Musima". Interessanterweise taucht er auch bei den Instrumenten des Herstellers "Migma" auf, der ebenfalls in Markneukirchen angesiedelt war und noch heute existiert. Sehen wir uns diese Schaltung einmal am Beispiel der "Elgita" an. Hier zunächst ein Blick auf das Bedienfeld mit dem sagenhaften "Trickschalter":

Bild 7: Das "Mischpult" einer Musima Elgita

Vermutlich wurden hier schon einmal Bauteile getauscht, denn Potiknöpfe von einer "Les Paul" gehören nicht zu einer "Elgita". Da diese Köpfe zwingend Potentiometer mit geriffelter Schlitzachse bedingen, kann man davon ausgehen, daß zwei defekte Potentiometer der Grund für diese Modifikation waren. Auch der Knopf für den Schalter scheint ausgewechselt worden zu sein.

Aus der mechanischen Breite von vorliegenden Tonabnehmern und verschiedenen Fotos einer "Elgita" wurden folgende mechanische Daten ermittelt:

  1. Mensur: 647,70mm (25,5" Strat-Mensur)
     
  2. Position Bridge-PU: 37,7mm ("Les Paul")
     
  3. Position Neck-PU: 150,0mm

Diese Daten bilden zusammen mit den elektrischen Daten der Tonabnehmer, die Grundlage für die folgenden Simulationen.

3.1. Das Schaltbild

Ich hatte vor ein paar Jahren die Gelegenheit, mir eine "Elgita" etwas näher anzusehen. Da ich leider keine Meßgeräte zur Verfügung hatte, mußte ich mich mit der Erfassung des Schaltplans zufrieden geben. Hier ist er:

Bild 8: Die Schaltung der Musima Elgita

Auf den ersten Blick sieht das ganze sehr verwirrend aus. Aber wenn man den Signalfluß für jede Schalterstellung getrennt betrachtet, kommt man schnell dahinter, was da eigentlich geschieht. Wie schon vermutet wurde, dient der Drehschalter hauptsächlich zur Auswahl der Tonabnehmer. In den Positionen 3 und 4 kommen zusätzlich die Kondensatoren CBS und CT in Spiel. Ob das den Begriff "Trickschalter" wohl rechtfertigt?

3.2. Beschreibung der Schalterpositionen

Sehen wir uns jetzt einmal im Detail an, welche klanglichen Möglichkeiten der "Trickschalter" bietet:

1. Rhythmus (R)

Der Stegtonabnehmer wird über PR und PV an den Ausgang gelegt. Beide Potentiometer sind kaskadiert und dienen der Lautstärkeeinstellung. Mit Hilfe vom PR ist es möglich, die Lautstärke unabhängig von PV, zu verringern, wodurch sich auch der Name "Rhythmus" erklärt.

Zusammen mit einem angenommen Verstärkereingangswiderstand von 1MOhm wird der Tonabnehmer dann mit einem Gesamtwiderstand von 333kOhm belastet. Das entspricht exakt der ohmschen Belastung, die zum Beispiel auch in der Standardschaltung nach Bild 1 auftritt, wenn Potentiometer mit einem Kennwiderstand von 500kOhm verwendet werden. Instrumente mit Single-Coils verwenden in der Regel Potentiometer mit einem Widerstand von 250kOhm, da Ihre Resonanz deutlich stärker ausgeprägt ist.

Unter Berücksichtigung der elektrischen Daten des Tonabnehmers ergibt sich eine Resonanzfrequenz von 2,44kHz mit einer Spitze von 9,5dB. Die resultierende Güte von 3 dürfte selbst die Tonabnehmer der spritzigsten "Stratocaster" erblassen lassen. Allerdings hinkt dieser Vergleich, denn keine Strat liefert eine so tiefe Resonanzfrequenz. Die "Elgita" klingt mit ihren Tonabnehmern also eher brillant und ist bezüglich der Klangeinfärbung eher mit den Tonabnehmern einer "Les Paul" zu vergleichen.

Ob sich eine Güte von 3 in der Praxis wirklich ergibt, darf jedoch bezweifelt werden, denn im Inneren des Tonabnehmers befindet sich jede Menge Eisen und auch die Messingkappe ist elektrisch leitfähig. Es werden folglich mehr oder weniger starke Wirbelströme auftreten, welche die Güte effektiv dämpfen. Eine zusätzliche Belastung von 1MOhm, wäre nicht so ungewöhnlich und würde dann zu einer Resonanz von 2,343kHz/6,1dB führen.

Das elektrische Filterverhalten des Tonabnehmers ist jedoch nur seine Seite der Medaille. Bekanntermaßen existiert zusätzlich ein Kammfilterverhalten, welches durch die Position und die Breite der Tonabnehmer bestimmt wird. Weitere Informationen dazu sind im Artikel "Das Klang-Mysterium der Humbucker-Modes" zu finden.

Möchte man diese Einflüsse berücksichtigen, so steht man vor einem Problem, denn es existieren für jede Saite eigene Filterverhalten, die von der Grundfrequenz der Saite abhängig sind. Es ist daher nicht möglich, das Verhalten mit einem Amplitudengang zu beschreiben, sondern man benötigt für jede Saite einen eigenen Amplitudengang! Wir betrachten also das elektrische Übertragungsverhalten und kombinieren es mit der Wirkung der Tonabnehmerposition und -breite. Als Ergebnis erhält man Amplitudengänge, die durch eine Anzahl von Maxima und Übertragungslücken gekennzeichnet sind. Analog zu den Betrachtungsweisen in der Phonetik und der Akustik, kann man die erkennbaren Maxima als Formanten auffassen. Die Lage dieser Formanten stellt dabei ein Charakteristikum für die Klangeinfärbung der einzelnen Saiten dar.

Hier die Amplitudengänge für die Stellung Rhythmus. Als Referenz wurde der elektrischen Amplitudengang G(f) zugefügt:

Bild 9: Amplitudengänge der Saiten (Rhythmus)

Zunächst ist eine relativ starke Abschwächung der tiefen Frequenzen zu bemerken. In allen Fällen wird der Grundton der Saite um 15dB gedämpft. Dieses Verhalten ist charakteristisch für die Stegposition aller Elektrogitarren.

Es ist deutlich zu erkennen, daß eine besondere Betonung erst ab der g-Saite einsetzt. Hier liegt die erste Übertragungslücke so hoch, daß das Tiefpaßverhalten des Tonabnehmers das gesamte Übertragungsverhalten dominiert. Für die E-Saite liegt die erste Übertragungslücke mit 1,415kHz deutlich unter der Resonanzfrequenz sodas noch die zweite bis vierte Formante in signifikanter Ausprägung auftreten. Gleichzeitig erfolgt eine Art "Bandbegrenzung". Frequenzen über 4,5kHz werden kaum noch übertragen. Zum Vergleich: Für die e-Saite sind durchaus Übertragungen bis 8kHz möglich.

Gleichwohl es in der Theorie unendlich viele Formanten gibt, ist es in der Praxis ausreichend, sich auf diejenigen mit der stärksten Ausprägung zu konzentrieren und das mit ihnen verbundene klangliche Empfinden darzustellen. Zu diesem Zweck wurden bis zu 255 Formanten berechnet und nach der Größe ihrer Amplituden sortiert. Ausgehend von der größten Amplitude wurden alle Formanten, deren Amplitude mehr als 30dB (entspricht 3,2%) kleiner waren, nicht mehr berücksichtigt. Die vier stärksten Formanten wurden in der folgenden Tabelle dargestellt und mit einer Beschreibung des Klangempfindens versehen.

Tabelle 1: Die vier stärksten Formanten der Saiten (Rhythmus)

"Wie" es klingt, läßt sich am einfachsten für die hohe e'-Saite sagen, denn hier liegt nur eine Formante vor. Für die g-Saite wird es schon etwas schwieriger, da hier mit F2 auch ein gewisser "metallischer" Anteil hinzukommt. Ob dieser mit einer Amplitude von -21dB noch eine große Rolle spielt, darf wohl bezweifelt werden.

Man erkennt also, daß die Ergebnisse aus Tabelle 1 durchaus einen gewissen Spielraum für Interpretationen lassen.

2. Solo (S)

Steg- und Halstonabnehmer sind parallelgeschaltet. Dadurch wird die Resonanzfrequenz in etwa um den Faktor 1,4 vergrößert. Gleiches gilt für die Ausprägung der Resonanz. Sie wird rund 3dB größer sein. Berücksichtigt man die angenommenen Wirbelstromverluste, so gelangt man zu einer Resonanz von 3,228kHz/10,8dB.

PR arbeitet nicht mehr als Lautstärkeeinsteller sondern wirkt nur noch als parallele Last. Die gesamte ohmsche Belastung beträgt dann wieder 333kOhm. Die Lautstärke kann nur mit PV eingestellt werden.

Theoretisch sollte der Klang jetzt deutlich "heller" sein. Dieser Eindruck wird sich so jedoch nicht einstellen und das hat zwei Gründe:

  1. Zum Signal des Stegtonabnehmers kommt nun auch das wesentlich baßlastigere Signal des Halstonabnehmer hinzu.
     
  2. Durch die Zusammenschaltung der beiden Tonabnehmer entsteht ein weiteres Kammfilter, welches zusätzliche Übertragungslücken zur Folge hat. Die Lage der entsprechenden Frequenzen hängt unmittelbar vom Abstand der beiden Tonabnehmer ab. Je größer dieser ist, desto tiefer liegen die entsprechenden Frequenzen.

Durch das zusätzliche Kammfilter entstehen eine ganze Reihe weiterer Formanten. Diese Maxima sind die Ursache für den speziellen Klang der sogenannten "In Between"-Sounds für den zum Beispiel die "Stratocaster" so bekannt ist. Hier das Ergebnis der Simulationen:

Bild 10: Amplitudengänge der Saiten (Solo)

Aufgrund der größeren Resonanzfrequenz, werden einige Formanten höherer Ordnung deutlicher betont und treten somit in Erscheinung. Es fällt auf, daß die dritte Formante F3 teilweise deutlich ausgeprägter ist, als die erste Fortmante F1. F2 existiert zwar, liegt jedoch in einer Übertragungslücke und muß daher eher als Dämpfung aufgefaßt werden.

Da jetzt das Signal des Halstonabnehmers im Signal enthalten ist, tritt eine deutlich geringere Abschwächung der Grundtöne auf. Sie beträgt nur noch 7,6dB. Der Bereich der tiefen Frequenzen ist also gut doppelt so laut. Der Übertragungsbereich für die E-Saite reicht jetzt durchaus bis zu 6,3kHz. Mit einer Frequenz von 8,7kHz wird der Übertragungsbereich der e'-Saite schon deutlich durch die elektrische Tiefpaßwirkung des Tonabnehmers begrenzt.

Sehen wir uns nun die Formanten ohne weitere Kommentare an:

Tabelle 2: Die vier stärksten Formanten der Saiten (Solo)

3. Banjo (B)

Der Stegtonabnehmer wird über den Kondensator CBS und PV an den Ausgang gelegt. CBS und PV bilden dann zusammen mit dem Eingangswiderstand des Verstärkers einen Hochpaß, dessen Grenzfrequenz in etwa bei 300Hz liegt. Neudeutsch wird eine solche Schaltung als "Bass-Cut" bezeichnet. Die tiefen Frequenzen werden also unterdrückt, was einen sehr dünnen und höhenlastigen Klang zur Folge hat. Fakt ist eine Dämpfung von 11,3dB bei 100Hz. Selbst bei 1kHz ergibt sich noch ein Dämpfung von 4dB! Auch die Resonanz wird durch CBS verschoben. Sie liegt jetzt bei 2,946kHz.

Ein Vergleich mit Bild 12 zeigt, daß der gesamte Amplitudengang quasi um 6dB nach "unten" verschoben wurde. Durch das Hochpaßverhalten wird diese Einstellung insgesamt also deutlich leiser ausfallen.

Für die Amplitudengänge berücksichtigen wir jedoch wieder den Einfluß von Tonabnehmerbreite und -position. Hier das Ergebnis:

Bild 11: Amplitudengänge der Saiten (Banjo)

Durch den "Bass-Cut" wird die ohnehin schon starke Dämpfung der tiefen Frequenzen an der Stegposition noch verstärkt. Für den Grundton der E-Saite liegt eine Dämpfung von 27,5dB vor. Abhängig von der betrachteten Saite sinkt diese Dämpfung bis zu einem Wert von 20,7dB für die e'-Saite. Insgesamt kann man jedoch sagen, daß die Grundtöne "fast" nicht mehr übertragen werden, denn die vorliegenden Dämpfungen entsprechen nur 4,5% bis 9% der ursprünglichen Amplitude.

Kommen wir nun zu den Formanten:

Tabelle 3: Die vier stärksten Formanten der Saiten (Banjo)

Ein Vergleich mit Tabelle 1 zeigt, daß hier insgesamt ein gewisser "metallischer" Anteil hinzukommt, was der erhöhten Resonanzfrequenz zuzuschreiben ist. Da die Bandbreite der ersten Formante durch den "Bass-Cut" mehr oder weniger stark begrenz wird, fehlt es bei dieser Einstellung auch ein wenig "unten rum".

Insgesamt liegt hier quasi nur eine Art "Obertonübertragung" vor. Ob so wirklich ein Banjo klingt, ist eine Frage, über die man mit Sicherheit streiten kann.

4. Shearing (SH)

Der englische Begriff "shearing" kann in etwa mit "beschneiden" übersetzt werden. In dieser Betriebsart ist nur der Halstonabnehmer aktiv. Zusätzlich wird der Kondensator CT parallelgeschaltet. Dadurch verringert sich die Resonanz und die Güte des Tonabnehmers sehr stark. Die Resonanz beträgt dann nur noch 271Hz mit einer Spitze von 2,78dB. Entsprechend beträgt die gesamte Bandbreite nicht mehr als 448Hz. Dieses starke Tiefpaßverhalten schneidet die hohen Frequenzen ab. Daher also der Name "Shearing"! Der entstehende Klang kann als "sehr weich" bis "dumpf beschrieben werden. Wer bei seiner Paula die Tonblende auf 0 stellt, erhält so einen Eindruck wie es wohl klingen wird. Allerdings wird in der Paula in der Regel ein Tonekondensator von 22nF verwendet, was doch noch etwas mehr Höhen ermöglicht.

Das Potentiometer PR arbeitet nicht mehr als Lautstärkeeinsteller. Es ist vollständig aus dem Signalweg entfernt. Dadurch steigt die gesamte ohmsche Last auf 500kOhm, was eine etwas größere Ausprägung der Resonanz zur Folge haben wird. In der Praxis fällt dieser Unterschied allerdings nicht besonders ins Gewicht. Die Lautstärke kann nur mit PV eingestellt werden. Nun zu den Amplitudengängen:

Bild 12: Amplitudengänge der Saiten (Shearing)

Die stärkere Wiedergabe der tiefen Frequenzen stellt eines der Hauptcharakteristiken der Halsposition dar. Lediglich 3,4 dB gehen beim Grundton der E-Saite verloren. Bei den anderen Saiten verringert sich diese Dämpfung noch etwas, weil die sehr tiefe Resonanz schon für eine leichte Anhebung sorgt. Nach oben hin ist bei der E-Saite bei rund 1,7kHz Schluß; die e'-Saite bringt es mit 2,5kHz auch nicht viel weiter.

Aufgrund der niedrigen Resonanzfrequenz wird das Übertragungsverhalten hauptsächlich durch die elektrischen Filtereigenschaften der Schaltung dominiert. Insbesondere bei den drei Diskantsaiten fällt des Fehlen von Formanten höherer Ordnung auf. Lediglich bei den Baßsaiten treten einige wenige zusätzliche Formanten signifikant in Erscheinung. Werfen wir einen Blick darauf:

Tabelle 4: Die vier stärksten Formanten der Saiten (Shearing)

Da hier die Atribute "sonor" bis "markant" dominieren, kann man den entstehenden Klangeindruck im Allgemeinen wohl als "dumpf" bezeichnen.

3.3. Bewertung der Schaltung

So trickreich, wie man vieleicht vermutete, arbeitet der "Trickschalter" nun doch nicht. Er stellt in erster Linie einen einfachen Tonabnehmerwahlschalter dar. Hier noch einmal die Kurzform:

# Bezeichnung Tonabnehmer Besonderheit
1 Rhythmus (R) B Lautstärkevorwahl durch PR
2 Solo (S) B||N -
3 Banjo (B) B Bass-Cut 300Hz
4 Shearing (SH) N Resonanzverschiebung nach 300Hz bis 500Hz

Tabelle 1: Die Klangkombinationen der Musima Elgita

Mit dieser Funktionalität ist die Schaltung in Teilen mit der Schaltung der "Jaguar" von "Fender" zu vergleichen, gleichwohl diese eine deutlich höhere Flexibilität aufweist.

Eine Besonderheit stellt die Verwendung des Bass-Cut für den Stegtonabnehmer dar. Die zusätzliche Beschneidung der tiefen Frequenzen dieser ohnehin schon baßarmen Tonabnehmerposition scheint für den westlichen Geschmack wenig Sinn zu machen. In dieser Einstellung wird man in Kombination mit einem Verzerrer keinesfalls glücklich werden. Hier wäre eine Resonanzverschiebung deutlich besser gewesen, um den Klang mittiger und damit für eine nachfolgende Verzerrung geeigneter zu machen!

Die zweite Besonderheit ist die Resonanzverschiebung. So etwas war in den 60er und 70er Jahre bei den westlichen Instrumenten nicht zu finden. Allerdings ist festzustellen, daß die Kapazität mit 47nF deutlich zu groß gewählt wurde, was einen sehr dumpfen Klang zur Folge hat! Ein Wert zwischen 4,7nF bis 15nF wird vermutlich deutlich bessere Ergebnisse erbringen und mehr von dem Eigenklang des Instrumentes übrig lassen. Aufgrund des Klangspektrums des Halstonabnehmers wäre der Bass-Cut hier viel besser aufgehoben, um dem Klang ein wenig von seiner "Wuchtigkeit" und "Fülle" zu nehmen.

Die großen Kennwiderstände der beiden Potentiometer sind ein deutliches Zugeständnis an die Kaskadierung der beiden Lautstärkeeinsteller. Leider wird dadurch auch das bekannte Problem des Höhenverlustes bei leiseren Einstellungen verschärft. Schon ein Wechsel von Stellung 10 nach 9 dürfte die Resonanz komplett gedämpft haben. Das wird insbesondere in der "Rhythmus"-Stellung zu einem flachen und ausdrucklosem Klang führen, da dann jegliche Betonung fehlt!

Besonders groß dürften die Wirbelstromverluste der SIMETO-Tonabnehmer in der "Elgita" jedoch nicht gewesen sein, denn hier werden 4 keramische Magnete verwendet und der Anteil von Eisen ist vergleichsweise gering. Insofern deuten die Ergebnisse der Simulationen auf eine relativ starke Betonung der Resonanz hin, die verglichen mit vielen westlichen Instrumenten, zu einem spitzen und höhenlastigen Klangeindruck führen dürften.


Fazit

Eine "erfrischend andere Schaltung" hat man sich da seinerzeit im Musikerwinkel ausgedacht! Hier wurde nicht stur ein bekanntes Konzept von "Gibson" oder "Fender" übernommen, sondern man realisierte eine eigenständige Idee, die dann auch prompt in verschiedenen Instrumenten auftauchte.

Wer den Klang der klassischen HH-Schaltung erwartet, wird von dieser Trickschaltung vieleicht entäuscht sein. Hier ging es offensichtlich nicht darum, eine Optimierung im Hinblick auf verzerrte Klänge zu erreichen, sondern die klangliche Nachbildung bestimmter akustischer Instrumenten - nämlich einer Schlaggitarre und eines Banjos - stand im Vordergrund; also eher der klassische Ansatz, der auch in den frühen westlichen Instrumenten zu finden ist. Mittlerweile hat sich die Elektrogitarre aber zu einem eigenständigen Instrument entwickelt, sodas solche Versuche heute ein wenig seltsam anmuten.

Wer für einen Eigenbau eine ungewöhnliche Schaltung sucht, findet hier eine interessante Variante, die zumindest als Anregung dienen kann. Und wer so ein Instrument besitzt, welches leider der originalen Elektronik beraubt wurde, kann jetzt das "Alte" wieder neu machen! Entsprechende Drehschalter kann man für kleines Geld bei den bekannten Händlern von elektronischen Bauelementen beziehen. Damit steht der elektrischen Restauration einer "Elgita" nichts mehr im Wege.

Was jetzt noch fehlt, ist die Beschreibung der Schaltung für die "Eterna", die ja auch den "Trickschalter" verwendet, aber das hebt sich der Onkel für's nächste Mal auf!

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Leserkommentare zu diesem Artikel

Datum Quelle Kritiker

21.06.2010

GitarreBassBau.de

bigherb

Alle Achtung Herr Onkel. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung. Sehr informativ...klasse.

21.06.2010

Musiker-Board

fiddle

wieder mal ein bock-starker Artikel!!



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